Wer auf dem Internetportal „Fussball.de“ die Spielpläne der verschiedenen Staffeln aufruft, findet mittlerweile immer häufiger ein Kamerasymbol hinter einzelnen Spielpaarungen. Immer mehr Vereine haben Kooperationen mit professionellen Dienstleistern, die Amateurfußballspiele – und zwar teilweise bis in die untersten Klassen – aufzeichnen und auf ihren Internetplattformen zum Abruf bereitstellen, sei es als Liveübertragung oder als Aufzeichnung. Sicher ein höchst interessanter Bereich in der Entwicklung des Amateurfußballs, der aber auch zu rechtlichen Fragestellungen führt. In der aktuellen Saison sind mir bereits zwei solcher Anfragen an den Verband zur Kenntnis zugeleitet worden: Eine stammte von einem Vereinsvertreter, die andere von einem Journalisten; in beiden Anfragen wurde problematisiert, ob die Verwertung solcher Aufnahmen im Rahmen von sportgerichtlichen Verfahren nicht „ungerecht“ sei oder zu einer „Wettbewerbsverzerrung“ führe, so lange nicht alle Sportplätze mit einer Videoanlage ausgerüstet seien. Die gleiche Frage könnte sich übrigens auch im Rahmen privater Filmaufnahmen stellen, die ein Zuschauer im Auftrag eines Vereins oder aus eigener Veranlassung gefertigt hat.
Filmaufnahmen und Datenschutz
Ich möchte mich zunächst mit der Frage befassen, ob die Anfertigung solcher Aufnahmen datenschutzrechtlich überhaupt zulässig ist. Diese Frage war vor einiger Zeit bereits Gegenstand eines Schriftwechsels zwischen meinem Amtsvorgänger Norbert Weise und dem Landesbeauftragten für Datenschutz. Als Quintessenz dieser Erörterungen ist festzuhalten: Bei öffentlichen Veranstaltungen, somit auch bei Sportveranstaltungen (auch mit nur regionaler oder lokaler Bedeutung), dürfen nach § 23 des Kunsturhebergesetzes (KUG) grundsätzlich Filmaufnahmen auch ohne ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten gemacht werden. Daran hat auch die im Mai 2018 in Kraft getretene EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nichts geändert. Unabhängig davon, ob DSGVO und KUG nebeneinander gelten oder nicht, führt hier auch Art. 6 (1) f) DSGVO zu dem Ergebnis, dass eine Zustimmung der betroffenen Personen nicht erforderlich ist, da deren Interessen die Interessen des Vereins an den Aufnahmen von Sportveranstaltungen grundsätzlich nicht überwiegen.
Ich halte diese Auffassung weiterhin für zutreffend. Wie oft finden wir Fotos in Zeitungen oder Videos im Internet, die zum Beispiel bei Ausstellungen oder Konzerten aufgenommen wurden und auf denen Besucher konkret erkennbar sind. Warum sollte bei einem Fußballspiel, zu dem jeder Interessierte als Zuschauer Zutritt hat und das somit eine „öffentliche Veranstaltung“ ist, eine andere Rechtslage gelten? Wie viele Besucher dann tatsächlich vor Ort waren, spielt am Ende keine Rolle – für die „Öffentlichkeit“ einer Veranstaltung kommt es eben nicht darauf, sondern nur auf die Zutrittsmöglichkeit als solche an.
Aus diesen Ausführungen ist aber auch zu entnehmen, dass die datenschutzrechtliche Zulässigkeit anders zu beurteilen sein kann, falls gezielt einzelne Personen – ggf. noch über einen längeren Zeitraum – aufgenommen würden, also zum Beispiel mit einer Kamera, die speziell nur auf einen Spieler gerichtet ist. Da hier der Betroffene nicht mehr nur „zufällig“ im Bild ist, es also nicht um die Dokumentation der Veranstaltung, sondern ausschließlich einer konkreten Person geht, wäre die gezielte Anfertigung, jedenfalls aber die Weitergabe solcher personenbezogenen Aufnahmen in der Regel von einer Zustimmung der betroffenen Person abhängig. Aber darum geht es ja bei den oben erwähnten Streamingplattformen nicht.
Verwertbarkeit in Sportgerichtsverfahren
Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass die Rechtsordnung des Fußballverbandes Rheinland in § 17 Nr.4 lediglich bestimmt, dass durch solche Aufnahmen „die Tatsachentscheidung des Schiedsrichters (SR) nicht widerlegt“ werden kann. Diese ist zwar nach den Bestimmungen „endgültig“, aber in erster Linie, soweit es das Spielergebnis betrifft. Dies bedeutet, dass ein Protest gegen die Spielwertung nicht darauf gestützt werden könnte, dass aufgrund von Filmaufnahmen ersichtlich ist, dass beispielsweise ein verhängter Strafstoß unberechtigt war oder ein Tor aus einer Abseitsposition gefallen ist.
Über die Heranziehung von Videoaufnahmen zur Findung des Strafmaßes – zum Beispiel nach einer Roten Karte – trifft die Rechtsordnung keine ausdrückliche Aussage. Vielmehr steht der Umfang der Beweisaufnahme im Ermessen des Rechtsorgans (§ 17 Nr.1 Satz 1 Rechtsordnung).
Danach ist eine Verwertung von Videoaufnahmen keineswegs per se unzulässig, sondern kann im Gegenteil je nach Einzelfall zu einer gerechten Entscheidungsfindung beitragen. Hier sind drei Fallgestaltungen zu unterscheiden:
1. Vorgänge, die der SR wahrgenommen, jedoch nicht mit „Rot“ geahndet hat: In diesen Fällen steht einer nachträglichen Bestrafung von vornherein die getroffene Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters entgegen, selbst dann, wenn den Bildern zu entnehmen wäre, dass diese Entscheidung falsch war. Von daher können in diesem Fall die Videobilder nicht zur Widerlegung der getroffenen Tatsachenentscheidung herangezogen werden.
2. Vorgänge, die der SR wahrgenommen und aufgrund seiner Wahrnehmung mit „Rot“ geahndet hat: Hier kann es ja nur noch um die Frage der Höhe einer Sperre gehen. Was hier bei Heranziehung von Videoaufnahmen zu einer „Wettbewerbsverzerrung“ führen sollte, erschließt sich mir indes nicht. Denn schließlich muss die Mannschaft des mit „Rot“ bestraften Spielers ja nur das laufende Spiel in Unterzahl bestreiten, aber nicht die kommenden Spiele in Unterzahl beginnen. Und wie sich die (Nicht-) Mitwirkung einzelner Spieler in den in die Dauer der Sperre fallenden weiteren Spielen auswirkt (oder anders ausgedrückt, wie die nächsten Spiele gelaufen wären, wenn einzelne Sperren aus früheren Begegnungen kürzer oder länger ausgefallen wären), ist reine Spekulation und kann nicht Grundlage einer rechtlichen Prüfung der Heranziehung eines vorhandenen Beweismittels sein.
Wegen des weiteren Arguments der „Gerechtigkeit“ – weil eben Videos nicht in allen Fällen zur Verfügung stehen – ziehe ich hier mal einen Vergleich zum Urteil des BGH zur Verwendbarkeit von „Dashcam“-Aufnahmen bei Verkehrsunfällen (VI ZR 233/17 vom 15.05.2018), die der BGH – und das sogar trotz der dort im konkreten Fall angenommenen Rechtswidrigkeit der Aufnahme (!) – bejaht hat. Die wenigsten Autofahrer verwenden eine Dashcam. Ist eine solche tatsächlich mal im Einsatz, dürfte wahrscheinlich allenfalls einer der Unfallbeteiligten eine solche verwendet haben. Trotzdem kam hier niemand in der juristischen Argumentation auf die Idee, das Argument der „Gerechtigkeit“ heranzuziehen. Das heißt, dass eine solche Aufnahme nur verwendet werden dürfte, wenn alle Autofahrer – oder zumindest alle Beteiligten des konkreten Unfalls – eine Dashcam verwenden.
Und schließlich: Einem Beschuldigten (Spieler) die Verwendung eines ggf. auch für ihn entlastenden Beweismittels zu verweigern (zum Beispiel wenn die Videoaufnahme eindeutig beweist, dass die ausgesprochene Rote Karte nicht gerechtfertigt war), wäre mit allgemeinen rechtstaatlichen Grundsätzen wohl kaum zu vereinbaren.
3. Vorgänge, die der Schiedsrichter nicht wahrgenommen hat (hinter dem Rücken des Schiedsrichters): Hier ist die nachträgliche Ahndung durch ein Sportgericht ohnehin auf Fälle eines krass sportwidrigen Verhaltens – also auf einen eher kleinen Anwendungsbereich – beschränkt (beispielsweise Tätlichkeiten, die von der Art ihrer Ausführung her nicht mehr als „minderschwere Fälle“ eingestuft werden können).
Hier sehe ich unter Bezugnahme auf meine vorstehenden Ausführungen ebenfalls kein „Gerechtigkeitsproblem“. Genauso gut könnte man umgekehrt die Frage stellen, ob es nicht eher „ungerecht“ oder eine „Wettbewerbsverzerrung“ wäre, einen Spieler nicht zu bestrafen und ihn stattdessen weiterhin am Spielbetrieb teilnehmen zu lassen, obwohl es einen klaren Beweis für ein grob sportwidriges Verhalten gibt.
Auch hier zum Abschluss ein Beispiel aus dem „normalen Leben“: Wer eine Straftat (zum Beispiel Körperverletzung) an einem Ort und zu einer Zeit verübt hat, wo – sei es geplant (Videoüberwachung) oder zufällig (Privatvideo eines Passanten) – gerade eine Filmaufnahme gefertigt worden ist, wird sich vor Gericht nicht mit Erfolg auf das Argument berufen können, die Verwendung dieser Aufnahme sei deshalb „ungerecht“, weil es zu anderen Zeiten und an anderen Orten keine solchen Aufnahmen gibt.
Was die teilweise recht unterschiedliche Qualität solcher Aufnahmen anbelangt, ist dies keine Frage der grundsätzlichen Verwertbarkeit, sondern vielmehr der Beweiswürdigung im Einzelfall – das heißt, der Frage, welche Aussagekraft die Aufnahmen, ggf. unter Berücksichtigung weiterer Beweismittel wie Zeugenaussagen etc., im konkreten Fall für den zu beurteilenden Sachverhalt haben.
Sicherlich werde ich mit diesen Ausführungen die Diskussionen um die Heranziehung von Videoaufnahmen zur Entscheidungsfindung in Verfahren vor den Sportgerichten nicht beendet haben. Ich hoffe jedoch, damit zumindest den rechtlichen Rahmen für die Nutzung dieser Medien einigermaßen verständlich gemacht zu haben.
Achim Kroth, FVR-Vizepräsident Recht