Seit dem Verbandstag am 2. Juli in Trier ist Gregor Eibes Präsident des Fußballverbandes Rheinland, der insgesamt sechste in dessen Geschichte. In der Politik werden nach 100 Tagen im Amt die ersten Bewertungen vorgenommen – und auch wenn der 62-Jährige beruflich als Landrat des Kreises Bernkastel-Wittlich tätig ist: Im Fußball gelten andere Maßstäbe. Jene 100 Tage waren bereits Mitte Oktober vorüber, und auch jetzt ist der Prozess der Neuausrichtung und Neustrukturierung des Präsidiums noch in vollem Gange. Dies mit Gregor Eibes an der Spitze, der im Interview mit unserem Verbandsmagazin „Fußball im Rheinland“ zufrieden auf die ersten Monate im Amt blickt, die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft dabei gleichwohl nicht außer Acht lässt.
Herr Eibes, rund sechs Monate liegt der Verbandstag nun zurück, seit etwa sechs Monaten sind Sie Präsident des Fußballverbandes Rheinland. Sie haben sicherlich eine Ahnung gehabt, wie es an der Spitze des Verbandes sein würde. Haben sich Ihre Vorstellungen mit der Realität bisher gedeckt?
Eibes: Ja, sie haben sich gedeckt. Nicht nur im Hinblick auf die inhaltliche Ebene hat sich die Arbeit im Präsidium so entwickelt, wie ich mir das vorgestellt habe, sondern auch bezogen auf die Freude an der Arbeit. Es hat sich für mich gezeigt, dass es der richtige Schritt war, diesen Weg zu gehen, weil mich das Hobby Fußball prägt und ich das Gefühl habe, an dieser sehr wichtigen Position etwas mitbewegen zu können, was man ansonsten nicht hätte beeinflussen können.
Konkret nachgefragt: Wie hat sich Ihr Alltag verändert?
Eibes: Es war mir schon klar, dass mein Zeitbudget, das sowieso schon sehr beansprucht ist, mit der neuen Aufgabe noch mal zusätzlich beeinflusst wird. Es ist sehr viel zu tun, mit einer großen Terminfülle, das muss man schon sagen. Auch in der inhaltlichen Arbeit wird man mit vielen Dingen konfrontiert. Man muss einfach zugeben, und das geht auch anderen Präsidiumsmitgliedern so: Neben einer beruflichen Tätigkeit, die ja viele im Präsidium ausüben, ist dies ein sehr anspruchsvolles Ehrenamt.
Das liegt vermutlich zum Teil an der neuen Konstellation, in der sich noch immer einiges neu finden muss – oder?
Eibes: Ja, wir müssen uns alle noch ein Stück weit finden. In der Novembersitzung des Präsidiums haben wir mehrere Kommissionen neu gegründet und die Mitglieder berufen, andere Kommissionen personell umstrukturiert und weitere aufgelöst. So muss sich auch die Arbeit in den Kommissionen neu finden. Denn dann werden Themen, die bisher noch im Präsidium diskutiert wurden, stärker über die Kommissionen aufbereitet. Es muss unser Ziel sein, dass sich das Präsidium mit gewissen Themen erst in der Phase befasst, in der es um Entscheidungen geht. Das wird natürlich nicht immer so umsetzbar sein, weil auch Zwischenstände diskutiert werden. Aber wir müssen uns stärker darauf fokussieren, dass die Kommissionen die inhaltliche Aufbereitung von Themen im Sinne einer Beratung des Präsidiums übernehmen.
Welche Themen, welche Aufgaben haben Sie bisher am meisten beschäftigt?
Eibes: Es waren zum Teil Dinge, die den Fußball und den Spielbetrieb nicht direkt betreffen. So war die Spende Katars an die FVR-Stiftung ein Thema, aber auch die Energiekrise beschäftigt uns. Es werden aber auch viele Einzelthemen diskutiert, die den Spielbetrieb anbelangen. Aus dem früheren Prozess der Verbandsentwicklung hat sich eine Vielfalt an Themen entwickelt, die wir nun nach und nach angehen. Zum Beispiel das Thema 2. Säule – Fußball außerhalb der gewohnten Spielbetriebsstrukturen –, der Ü-Fußball, der Schiedsrichterbereich. Also: Es gibt bereits einige Schwerpunkte, aber die Vielfalt macht es aus.
Gibt es Dinge oder Aspekte, die Sie in Ihrem Amt als Präsident überrascht haben?
Eibes: Es konnte mich insofern nur weniges überraschen, als ich ja bereits drei Jahre als Vizepräsident dabei war. Aber auch dadurch, dass Walter Desch seine Einarbeitung unter anderem damit bewerkstelligt hat, dass er mir seinen Terminkalender aus 2019 – also aus der Zeit vor der Pandemie – überreicht hat, mit rund 120 Terminen als Präsident des Fußballverbandes, wusste ich, was auf mich zukommt. Im Präsidium hat sich eine breite, sehr gut aufgestellt Diskussionskultur entwickelt, die sich auf Grund der neuen Rollenzuweisungen etwas anders darstellt als früher. Wir sind breiter und weniger spezialisiert aufgestellt. Das ist sicherlich ein Stück weit anders, aber natürlich positiv zu sehen.
Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit dem Präsidium, aber auch mit den anderen Gremien und dem Hauptamt?
Eibes: Ich bin auf allen Ebenen sehr zufrieden. Wie ich schon häufiger betont habe, bin ich ein sehr harmoniebedürftiger Mensch – auch in meinem Berufsleben, wobei das nicht immer zu 100 Prozent klappt. Eines habe ich dabei jedoch festgestellt: Man kann zwar auch zusammenarbeiten, wenn man sich nicht so gut versteht. Aber die Zusammenarbeit funktioniert wesentlich besser, wenn es auf der menschlichen Ebene passt. Daher habe ich darauf von Anfang an Wert gelegt. Ich stelle fest, dass der Umgang miteinander innerhalb des Präsidiums, aber auch in Bezug auf andere Gremien und das Hauptamt, menschlich gut funktioniert – das schätze ich sehr. Und es bestärkt mich darin, dass wir einige Ziele gemeinsam erreichen können. Die neue Präsidiumsstruktur lässt sich gut an, aber auch in der Geschäftsstelle nehmen wir Veränderungen im Organigramm vor, unter anderem bezüglich des Geschäftsführers. Bei dieser Neubesetzung wird sich die Zusammenarbeit mit mir noch finden müssen, aber ich bin sicher, dass dies im Gesamtgefüge gut ablaufen wird. Und ich habe auch das Gefühl, dass die Zusammenarbeit zwischen den spieltechnischen Ausschüssen und den neuen Vizepräsidenten funktioniert. Die bisherigen Diskussionen zeigen mir, dass der eingeschlagene Weg der richtige war, dass er uns inhaltlich beflügelt und neue Dinge aufzeigt.
Das vorherige Präsidium bewegte sich personell über viele Jahre in ähnlichem Fahrwasser, mit nur punktuellen Veränderungen. Durch viele Neuerungen, verbunden mit einer verjüngten Altersstruktur, ist seit dem Verbandstag kein unwesentlicher Prozess in Gang gekommen. Wie bewerten Sie diesen Gesamtprozess und seinen aktuellen Stand?
Eibes: Ich sehe sehr gute Ansätze, bin aber nicht so vermessen zu sagen, dass es keine Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Veränderungen bringen am Anfang immer Reibungsverluste mit sich. Wie gesagt: Mein Eindruck ist, dass wir den richtigen Weg gegangen sind – ob er sich in Gänze bestätigt, das werden wir sehen. Man muss sich dabei in Erinnerung rufen, dass dieser Prozess durchaus nicht unkritisch begleitet wurde, auch aus Sicht der Vereine. Beim Verbandstag ist die neue Struktur mit erheblicher Mehrheit beschlossen worden, aber es gab auch dort kritische Stimmen. Viele haben prophezeit, dass es nicht funktionieren wird. Wir haben immer gesagt: Wir werden die Entwicklung evaluieren, wir werden sie hinterfragen – es gibt ja immer die Möglichkeit, Änderungen herbeizuführen. Insofern würde ich nicht behaupten, dass alles in trockenen Tüchern ist und problemlos abläuft. Wir wussten alle, dass wir eine gewisse Zeit benötigen werden, um diese neue Struktur in Gang zu setzen – auch im Hinblick auf die Kommissionen, die für mich ein ganz wichtiger Bestandteil der Verbandsarbeit sind. Die spieltechnischen Ausschüsse arbeiten seit dem Verbandstag ohnehin reibungslos weiter. Aber das Zusammenführen muss sich noch ein Stück weit ergeben.
Kommen wir zu den Finanzen des Verbandes, auch vor dem Hintergrund, dass Corona natürlich auch im Jahr 2022 eine große Rolle gespielt hat und teilweise noch spielt: Wie ist es um den FVR bestellt?
Eibes: Unser Schatzmeister Dirk Janotta macht immer einen sehr zufriedenen Eindruck. Es gab ja durchaus Stimmen, die befürchtet haben, dass uns die Corona-Pandemie in ein gefährliches Fahrwasser bringt, weil in der fußballlosen Zeit viele Einnahmen fehlen, Ausgaben aber in der Regel verbleiben. Auch der Sportschulbetrieb hat ja in der Zeit geruht. Dirk Janotta hat von Anfang an gesagt, dass er sich nicht die ganz großen Sorgen macht, sondern dass er der Meinung ist, dass wir mit weniger als einem blauen Auge aus der Situation herauskommen. Und wir müssen heute sagen, dass sich das bestätigt hat. Der Verband steht nach wie vor gut da. Wir mussten keine Einschränkungen vornehmen im Hinblick auf die Kreise und Vereine. Der FVR ist in einer guten finanziellen Situation. Wir müssen allerdings festhalten, dass dies auch damit verbunden ist, dass wir dankenswerter Weise staatliche Transferleistungen erhalten haben, insbesondere was die Personalkosten – sprich: Kurzarbeitergeld – anbelangt.
Werfen wir einen Blick ins neue Jahr: Welche Themen möchten Sie im Jahr 2023 in den Vordergrund rücken?
Eibes: Auch wenn ich mich ein wenig wiederhole: Aus den Kommissionen heraus werden nun die Themen aufgegriffen, die den Verbandsentwicklungsprozess begleitet haben, da steht ja noch vieles auf der Agenda. Was uns sicherlich noch beschäftigen wird, zumal ich es als sehr wichtig erachte, ist die Vereinsberatung. Wir sind einer der letzten Landesverbände, der dieses Thema noch nicht so richtig aufgegriffen hat. Ich halte es aber für wichtig, dass wir nachziehen. Weil die Vereine gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit darauf angewiesen sind, dass sie hauptamtliche Unterstützung erfahren. Wie wir das strukturieren, müssen wir sehen, da gibt es völlig unterschiedliche Modelle. Aber wir müssen das Thema besetzen, und die Vereine erwarten das auch. Mit Vizepräsident Lutz Thieme als Kommissionsleiter sind wir inhaltlich auf jeden Fall gut aufgestellt.
Welche weiteren Themen kommen Ihnen in den Sinn?
Eibes: Auch mit dem Schiedsrichterrückgang werden wir uns befassen müssen: Wie gelingt es uns, Schiedsrichter zu halten und zu gewinnen und insbesondere auch Frauen und Mädchen davon zu überzeugen, Schiedsrichter zu werden? Die 2. Säule werden wir in jedem Fall bespielen, uns mit alternativen Angeboten beschäftigen. Im nächsten Jahr wird das Thema kreisübergreifender Spielbetrieb kommen, das uns auch im Vorfeld schon beschäftigen wird. Ich sage an dieser Stelle noch mal ganz deutlich: Der Spielbetrieb wird immer im Vordergrund stehen – bei allem, was wir tun, blicken wir auf den Spielbetrieb mit der Frage, wie er durch die ins Auge gefassten Maßnahmen tangiert wird. Ein weiterer Aspekt wird das Projekt Zukunft (Anm.: Neuausrichtung der DFB-Talentförderung) sein: Wie wird es hier weitergehen? Ich bin dankbar, dass die Intervention der Amateurebene gefruchtet hat, es gibt nun entsprechende Neuüberlegungen. Da werden wir stark darauf hinwirken müssen, dass die Verbandsarbeit nicht leidet – insbesondere, was den Nachwuchsfußball anbelangt. Durch all die Punkte sieht man schon: Neben den anderen Dingen, die im Tagesgeschäft kommen werden, haben wir noch einiges zu tun.
Unabhängig vom Verbandsgeschehen: Welche Wünsche nehmen Sie mit ins neue Jahr?
Eibes: Gesundheit ist natürlich das Wichtigste überhaupt. Darüber hinaus habe ich einen Wunsch, der übergreifend zu sehen ist, weil es den Fußballverband, meine berufliche Tätigkeit und auch den privaten Bereich betrifft: Ich wünsche mir, dass wir endlich wieder aus dem nun schon Jahre andauernden Krisenmodus herauskommen. Ich wünsche mir, dass man ganz normale Themen abarbeiten kann, ohne dass alles sehr stark bestimmt wird von Dingen wie der Pandemie, der Energiekrise, Inflation und Krieg. Ich wünsche mir, dass wir wieder über Fußball diskutieren, wie wir den Spielbetrieb am effektivsten gestalten, wie wir den Nachwuchs stärken und vieles mehr. Die Gedanken der Menschen sollen sich wieder mehr um Alltagsthemen drehen. Damit verbunden ist natürlich der Wunsch, dass das Leid der Menschen, die unter dem schlimmen Krieg in der Ukraine leiden, beendet wird. Wenn das gelänge, würde dies vieles andere Positive nach sich ziehen.
An vielen Stellen fehlt – verständlicherweise – eine gewisse Unbeschwertheit, die vor einigen Jahren noch vorherrschte. Fehlt diese unbelastete Herangehensweise auch im Sport und in den Vereinen?
Eibes: Die Menschen sind derzeit natürlich beseelt von ihren persönlichen Sorgen, die sie aktuell haben. Sie machen sich andere Gedanken als darüber, wo und wie sie sich ehrenamtlich einbringen können. Wir müssen aufpassen, dass sich die Menschen durch ihre zunehmenden Belastungen nicht zurückziehen, weil das Denken im eigenen Spektrum in Vordergrund steht und man sich – aus nachvollziehbaren Gründen – übergreifenden Dingen nicht mehr widmen kann, wenn man schlichtweg andere Sorgen hat. Diese Situation muss sich wieder verbessern, denn ansonsten befürchte ich schon, dass auf Dauer unsere Vereine darunter leiden, mindestens so stark wie unter Corona. Aber ich bin und bleibe optimistisch, denn unsere Vereine sind stark. Und je größer die Alltagssorgen sind, desto mehr Ablenkung müssen die Menschen haben, auch durch das Vereinsleben, weil über die Vereine positive Stimmung verbreitet wird. Dafür müssen wir als Verband unbedingt eintreten: dass Vereine in die Lage versetzt werden, in diesen Krisenzeiten einen Gegenpol zu bilden. Dass es ihnen gelingt, die Menschen aus diesen Negativgedanken herauszuholen – und wenn’s nur für ein paar Stunden ist.