Fußballer und Funktionäre aus der Region trauern um den 70-Jährigen Ransbach-Baumbach. Winfried Gerz war Schiedsrichter aus Leidenschaft. Ungefähr 50 Jahre lang war der Mann, der aus Montabaur-Elgendorf stammt, in eben dieser Funktion, als Ansetzer oder als Kreisschiedsrichterobmann im Fußballkreis Westerwald/Wied Kreis tätig gewesen. Der Fachmann für Ordnungen und Satzungen des FV Rheinlands, an den sich zahlreiche Vereine gewendet haben, war ein anerkannter und wichtiger Gesprächspartner im Amateurfußball und ein gern gesehener Sportsmann auf den Sportplätzen im Unterwesterwald gewesen. Gerz ist nun in der Nacht von Montag, 29. Juni, auf Dienstag, 30. Juni, im Alter von 70 Jahren, wohl im Verlauf einer Sepsis, friedlich und ohne Schmerzen im Seniorenwohnpark am Erlenhofsee in Ransbach-Baumbach eingeschlafen. Christian Ogait, Betreuer von Winfried Gerz und ehemaliger Schiedsrichter im Westerwald/Wied erinnert sich positiv an die Zeit mit ihm zurück: „Winfried Gerz lebte Jahrzehnte für den heimischen Sport. Weit über die Grenzen des Westerwalds hinaus war er ein angesehener Experte für Vereine und Schiedsrichter. Wir verlieren einen Mitmenschen mit Charakter, Loyalität, und einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.“ Auch Verbandsschiedsrichterobmann Erich Schneider war schockiert über diese Nachricht: „Der plötzliche Tod von Winfried Gerz hat auch mich sehr getroffen, da ich vor Kurzem noch ein langes Gespräch mit ihm geführt habe und er voller Tatendrang war. Er war ein lebendes Archiv und konnte mir über die Vergangenheit, besonders von der Zeit der 60er-Jahre bis heute detaillierte Antworten geben.“
Gerz wurde im Alter von 17 Jahren vom damaligen Vorsitzenden des TSV Elgendorf 1904 befragt, ob er dem Verein, der ein Problem mit dem Schiedsrichtersoll hatte, helfen wolle, dieses Amt auszuüben. Da er als Spieler nicht über die notwendigen Qualitäten verfügte, sagte er zu und legte am 2. April 1967 in Koblenz die Prüfung zum Schiedsrichter ab. Da es nur wenige „Schwarzkittel“ gab, mussten alle sehr viele Spiele leiten. Sein erstes Spiel war die Partie der A-Jugend vom SV Horressen und dem SV Ebernhahn, welches 6:3 für die Heimmanschaft endete. Und das letzte Spiel, seiner insgesamt 3856 Spiele, die der leitete, war das Pokalspiel zwischen dem FSV Stahlhofen II und dem VfR Nomborn am 1. August 2008, welches der Gast mit 4:1 für sich entschieden hat. Bis zum Ende seiner Schiedsrichterkarriere hat Gerz alle seine Spiele fein säuberlich mit Datum, besonderen Vorkommnissen und dem Endergebnis auf seinem Computer dokumentiert.
Dabei wäre es nach seinem siebten Spiel als Unparteiischer schon beinahe alles zu Ende gewesen. Der damalige Obmann, Paul Etz aus Ransbach-Baumbach, suchte ihm während einem Spiel in Hundsangen auf. Er bat ihn, dass Lokalderby zwischen dem SC Pütschbach (heute SV Alemannia Dreikirchen) und dem TuS Nentershausen zu pfeifen, weil ein erfahrener Kollege ausgefallen war. Er wusste damals weder was ein Lokalderby war noch war er in der Lage das Spiel in den Griff zu bekommen. „Ich bin dort untergegangen wie eine Primel“, sagte er selbst und ist heulend mit seinem Vater, der ihn damals noch fuhr, nach Hause gefahren. Er wollte nie wieder als Schiedsrichter fungieren und seine Mutter hat ihn bei Paul Etz abmelden wollen. Dieser hat ihn dann einige Tage später in Elgendorf aufgesucht und folgendes zu ihm gesagt: „Winfried, du bist doch kein Dolles. Lass dir doch sowas nicht gefallen. Wenn ein Spieler dir dauernd am Rockzipfel hängt und jede Entscheidung verächtlich kommentiert, dann schmeiss ihn einfach vom Sportplatz. Ich als Obmann und die Instanzen stehen hinter dir.“ Gerz hat sich diese Worte gemerkt und binnen der nächsten Monate diverse Platzverweise ausgesprochen. Er hat danach eine gravierende Veränderung bemerkt. Wenn die Ansetzer ihn erneut zu einem Spiel hinschickten, bei dem er vorher durchgegriffen hatte, hörte er die Trainer und Betreuer zu ihren Spieler sagen: „Bei dem müsst ihr die Schnauze halten, der mag das nicht.“ Und prompt war der notwendige Respekt vorhanden und auf diesem Gebiet hatte es nie mehr Probleme gegeben.
In seinen verschiedenen Schiedsrichterfunktionen hat er stets ein Motto eisern verfolgt: Sorgt auf dem Platz für Ruhe und Ordnung, denn dann kann es auch keine Ausschreitungen geben. Lasst die Zuschauer und Trainer von draußen schreien was sie wollen. Dies spielt schließlich keine Rolle. Aber diese Dinge dürfen niemals von den Spielern aufgenommen werden, da diese sonst auf dem Spielfeld die Überhand über den Schiedsrichter bekommen würden.
So hatte er es als „Schwarzkittel“ immer leichter und hatte sogar einmal eine Phase von fast zehn Jahren, in denen er nicht eine einzige Rote Karte zeigen musste. Und er hatte auch niemals Probleme, dass er bedroht wurde oder gar ein Spielabbruch drohte. Nach eigener Aussage ging er nach Spielschluss in über 99% aller Spiele ohne Beschimpfungen als Freund der Spieler vom Platz.
Als Schiedsrichteransetzer zwischen den Jahren 1979 bis 1986 und später in 15 Jahren als Kreisschiedsrichterobmann des Kreises Westerwald-Wied in den Jahren 1993 bis 2007 hat er stets seine Devisen berherzigt und die gut gemeinten Ratschläge an seine Schiedsrichter weitergegeben, die diese regelmäßig annahmen und auch die jüngere Generation an Unparteiischen weitergaben.
Die Jahre 1992 und 1993 waren besondere Jahre im Kreis Westerwald-Wied. Im gesamten Kreisgebiet war eine richtige Krise ausgebrochen. Es folgten außerordentliche Kreistage mit dem Rücktritt des Kreisvorstandes, der bis auf wenige Ausnahmen komplett zurückgetreten ist, und ein Kreistag in Mogendorf, bei welchem noch nicht einmal ein Kreisvorstand gewählt wurde. Ursächlich für diese Krise waren unglaubliche Querelen im Schiedsrichterwesen des Kreises gewesen. Und zu diesem Zeitpunkt fragte der vom FV Rheinland eingesetzte neue Kreisvorsitzende Günter Hübinger aus Niederelbert Gerz, ob er sich zutrauen würde, den Laden wieder auf Vordermann zu bringen. Gerz sagte zu und zusammen mit seinem Freund Walter Bleck aus Neuwied war binnen kürzester Zeit wieder Ruhe und Ordnung im Kreis.„Das war gar nicht so schwer“, sagt Gerz heute. „Ich musste nur die faulen Äpfel aussortieren, da war wieder Zug im Laden. Binnen sechs Monaten wurden 41 Unzuverlässige aussortiert und alle anderen standen voll zur Sache. Trotzdem gelang es Gerz dafür Sorge zu tragen, dass in den 15 Jahren seiner Obmannstätigkeit nicht ein einziger Verein des Kreises auch nur eine Bußgeldstrafe an den FV Rheinland zahlen musste.
Obwohl im Pflichtspielbetrieb mindestens ein Drittel mehr Spiele wie heutzutage zu besetzen waren, konnten alle Spiele und sogar Woche für Woche noch 40 Altherren-Spiele problemlos angesetzt werden. Weil auch alle Schiedsrichter bedingungslos zu den sogenannten Austauschsspielen standen, konnten Woche für Woche noch zehn bis 15 Spiele zusätzlich in die Nachbarkreise entsendet werden, um deren Probleme zu beheben.
Es gab keine nennenswerte Fluktuation: Pro Jahr verließen höchstens im Schnitt drei Unperteiische auf – wegen, Alter, Krankheit oder Umzug – aber niemals aus Frust. Deswegen war es für Gerz ein Rätsel, wenn er lesen musste, dass die Schiedsrichterinstanzen Probleme hätten, die Jugendspiele am Samstag zu besetzen.
Leider schlug dann das Schicksal zu. Am 26. März 2007 brach Gerz zu Hause zusammen. Er fiel ins Koma und wurde per Rettungshubschrauben in die Uniklinik nach Mainz geflogen. Dort wurde dann eine schwere Blutvergiftung festgestellt, sein Diabetes war auf eine Höhe von 960 entgleist und er musste monatelang in den Krankenhäusern verbringen. Aus diesem Grunde trat er zum 30. Juni 2007 als Kreisschiedsrichterobmann zurück. Im Jahre 2008 versuchte er noch wenige Spiele als Schiedsrichter zu leiten. Er musste sein geliebtes Hobby aber nach kurzer Zeit aufgeben, da weitere Krankheiten hinzukamen, weil offensichtlich eine Zecke, die seit September 2005 in seinem Körper war, auch andere Organe angegriffen hat. So musste ihm im September 2018 das linke Bein amputiert werden, weswegen er seit Oktober 2018 in einem Pflegeheim in Ransbach-Baumbach untergebracht werden musste. Dort fühlte er sich sauwohl, wie er stets glücklich berichtete. Und er erfuhr auch noch bis zum Ende seines Lebens noch große Wertschätzung durch viele Freunde vom Sport. „Keiner hat hier mehr Besuch als der Gerz“, berichtete einer der Pfleger. So was hätten sie noch nicht erlebt. Und da er seit Jahrzehnten als der Satzungsguru gilt, werden noch viele Schiedsricher und Vereine mit einem weinenden Auge sich an diese Zeit zurückerinnern.
Die Beisetzung findet in der Kalenderwoche 29 in Elgendorf statt und wird über die Lokalpresse bekanntgegeben. Marvin Conradi