Fast auf den Tag genau vor einem Jahr machte sich Dirk Janotta auf den Weg von Koblenz nach Frankfurt, um an seiner ersten DFB-Präsidiumssitzung teilzunehmen. Dort verantwortet der 63 Jahre alte Rechtsanwalt seitdem die Projekte und Initiativen, die unter dem Dach der DFB-Stiftungen Egidius Braun und Sepp Herberger sowie der DFB-Kulturstiftung durchgeführt werden. Im DFB.de-Interview mit Redakteur Thomas Hackbarth spricht der DFB-Vizepräsident über den Spagat zwischen Beruf, Wahlamt und Familie und darüber, dass die Restriktionen der Pandemie bei den Stiftungen einen Digitalisierungsschub ausgelöst haben.
DFB.de: Herr Janotta, ein Jahr im DFB-Präsidium liegt hinter Ihnen. Wie fällt die Zwischenbilanz aus?
Dirk Janotta: Ich würde lügen, wenn ich nicht zugebe, dass mir diese Aufgabe großen Spaß macht. Dabei war es aber auch ein turbulentes Jahr mit riesigen Herausforderungen. Über allem liegt der Schatten der Corona-Pandemie. Aktuell werden in Deutschland täglich neue Rekordzahlen gemeldet, in Frankreich liegt man bereits jenseits von 50.000 Infizierten pro Tag. Dank der Bundesregierung und der Gesundheitsämter sind wir in Deutschland immer noch in einer vergleichsweise privilegierten Situation. Dabei sind auch die DFB-Stiftungen, wie jeder andere Bereich in Deutschland, von den Corona-Auswirkungen betroffen.
DFB.de: Überraschend wenige Stiftungstermine wurden abgesagt. Motivieren Sie das Stiftungspersonal so gut?
Janotta: Das Lob gebührt unserem Stiftungsgeschäftsführer Tobias Wrzesinski, der mit seinem Team täglich sehr klug ein ungeheures Pensum bewältigt. Wir konnten nahezu alle geplanten Maßnahmen durchführen. Das war ein kolossaler Kraftakt. Hygienekonzepte mussten entwickelt, vieles doppelt und dreifach geplant, Veranstaltungen in den virtuellen Raum verlagert werden. Etwa die Fußball-Ferien-Freizeiten. Auch 2020 sollten 75 Vereinsgruppen mit rund 1000 Jugendfußballern an 18 einwöchigen Freizeiten in Edenkoben, Hennef, Grünberg, Malente, Schöneck und Leipzig teilnehmen. Stattdessen haben wir Online-Webinare und Talks mit Fußballstars organisiert.
DFB.de: Es fanden aber auch einige Präsenztermine statt.
Janotta: Immer unter Beachtung der Hygienevorschriften. Wir haben gemacht, was noch möglich war, wobei die Gesundheit immer höchste Priorität hatte. Drei Beispiele: In Berlin veranstalteten wir das stimmungsvolle 11mm-Fußballfilmfestival, das seit zehn Jahren durch die DFB-Kulturstiftung gefördert wird. Möglich machte dies der große Einsatz unseres Stiftungsgeschäftsführers Olliver Tietz. 50 Jahre nach Sepp Herbergers erstem Gefängnisbesuch war ich gemeinsam mit Ottmar Hitzfeld in der JVA Bruchsal und habe mich dort mit den Strafgefangenen unterhalten. Und am vergangenen Samstag schließlich war ich beim Blindenfußball-Saisonfinale in Magdeburg zu Gast und durfte auf dem Domplatz dem MTV Stuttgart die DFB-Meisterplakette überreichen.
DFB.de: In der Krise sind Sozialbudgets oft ein früher Streichposten. Angesichts steil steigender Infektionszahlen: Fehlen den DFB-Stiftungen bald die Mittel?
Dirk Janotta: Nein, hier kann ich Entwarnung geben. Der DFB steht zu seinem jahrzehntealten gesellschaftlichen Engagement, das vorrangig über die Arbeit der Stiftungen gelebt wird. Insbesondere dank des bemerkenswerten Einsatzes unseres Schatzmeisters Dr. Stephan Osnabrügge sind die Finanzen stabil. Wir können das, was wir uns für dieses und das nächste Jahr vorgenommen haben, realisieren. Auf darüber hinausgehende Sondermaßnahmen verzichten wir aktuell. Ich habe also viele Ideen, die erstmal in der Schublade liegen bleiben müssen und dann schnellstmöglich nach Corona realisiert werden. Für 2021 jedenfalls sind für die DFB-Stiftung Egidius Braun und die DFB-Stiftung Sepp Herberger zusammen rund drei Millionen Euro budgetiert.
DFB.de: Und 2022?
Janotta: Das sehen wir im kommenden Herbst, wenn wir gemeinsam mit den Mitgliedern unserer Kuratorien in die Haushaltsberatungen einsteigen. (lacht) Im Ernst: Wenn sich die Lage bis dahin nicht bessert, könnte uns das vor Herausforderungen stellen. Ich bin und bleibe aber optimistisch.
DFB.de: Wie viel Gehör bekommen die Aktivitäten der Stiftungen im Präsidium?
Janotta: Machen Sie sich mal keine Gedanken, ich bekomme schon meine Redezeit. (lacht) Gerade Fritz Keller sorgt dafür, dass die wichtigen Stiftungsthemen nicht unter den Tisch fallen. Denn natürlich ist die Themenliste bei einer DFB-Präsidiumssitzung lang. Meine Präsidiumskollegen, zuletzt etwa Ronny Zimmermann aus Baden und Erwin Bugar aus Sachsen-Anhalt, machen sich ebenfalls stark für die Stiftungen. Das hilft mir natürlich. Ich selbst tausche mich häufig mit unserem Schatzmeister Stephan Osnabrügge und mit Rainer Koch aus. Wir alle sind uns einig darin, dass gerade mit der Arbeit der drei DFB-Stiftungen das Credo unseres Ehrenpräsidenten Egidius Braun gelebt wird und weitergelebt werden muss. Fußball war, ist und bleibt mehr als ein 1:0!
DFB.de: Welche Themen bewegen Sie mit Blick auf die Stiftungen aktuell noch?
Janotta: Zurzeit bereiten wir den Launch einer kommunikativen Plattform der wichtigsten Fußballstiftungen im Land vor. Im Frühjahr wurde die Stiftung der Nationalmannschaft eingerichtet, die wir als Treuhandstiftung unter dem Dach der DFB-Stiftung Egidius Braun betreuen. Ich gehöre dem Kuratorium der Robert-Enke-Stiftung an. Wir stehen fortlaufend im kollegialen Austausch mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen. Viele Bereiche überschneiden sich. Gesellschafts- und sozialpolitisch sähe unser Land ohne das Wirken von Stiftungen anders aus. Es ist wichtig, den Doppelpass zu spielen, denn ich bin überzeugt: Beim Helfen gibt es keine Konkurrenz.
DFB.de: Zum 50. Jahrestag von Sepp Herbergers erstem Besuch in einer Haftanstalt fanden im Oktober eine Reihe von Gefängnisbesuchen statt, etwa mit Fritz Keller, Lars Klingbeil, Jens Nowotny, Otto Rehhagel oder Ottmar Hitzfeld und Ihnen. Warum ist diese Idee so stark? Persönlichkeiten des Fußballs treffen Strafgefangene – warum hat dieses Engagement jetzt schon ein halbes Jahrhundert überdauert?
Janotta: Weil jeder eine zweite Chance verdient hat.
DFB.de: Was konkret kann der Fußball dafür tun?
Janotta: Der Fußball kann Straftäterinnen und Straftätern helfen, nach der Haft ein neues Leben zu beginnen. Vereinszugehörigkeit, ein Ehrenamt, eine neue Peergruppe – das alles hilft. Auch bei der Wiedereingliederung in den Beruf hilft die Initiative „Anstoß für ein neues Leben“. Die Idee ist bis heute so stark, weil es wirklich funktioniert. Dass der „Chef“ selbst damals den Anfang machte, hat sicher auch geholfen. Und, dass Fritz Walter damals Herbergers Vision, die in der Stiftung für die Ewigkeit manifestiert wurde, fortgesetzt hat. Aber eines möchte ich auch sagen: Bei allem Engagement für die Täter dürfen wir niemals die Opfer vergessen.
DFB.de: An der virtuellen Egidius-Braun-Akademie nehmen seit September 26 junge Männer und Frauen teil, die sich bereits vorbildlich ehrenamtlich im Sportverein oder -verband engagieren. In wenigen Wochen werden sie als Abschlussarbeit den „Verein der Zukunft“ entwerfen. Wie gefällt Ihnen dieses Stiftungsprojekt?
Janotta: Man kann die Wichtigkeit des jungen Ehrenamtes nicht überbewerten. Ich bin glücklich, dass wir in enger Kooperation mit der Deutschen Sportjugend erstmals dieses Programm realisieren und sehe hier für die Zukunft großes Potential.
DFB.de: Apropos Ehrenamt – zählen Sie doch bitte einmal Ihre Ehrenämter auf.
Janotta: Im Rheinland, wo wir gerne auch mal sehr direkt reden, hat man mich tatsächlich schon Vereinsmeier geschimpft. Um die 50 werden es schon sein. Ich war lange Jahre Bankdirektor, war im Genossenschaftswesen ehrenamtlich tätig, habe in Ausschüssen des Deutschen Bundestags mitgearbeitet, habe Contergan-Kindern das Schwimmen beigebracht und wurde für dieses Projekt mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Allein mit meiner Aufgabe als DFB-Vizepräsident sind rund 15 unterschiedliche Ämter und Funktionen verknüpft.
DFB.de: Und sie sind verheiratet und Vater eines Sohnes…
Janotta: … der im nächsten April sein zweites Jura-Staatsexamen ablegen wird und damit in die Fußstapfen seines Vaters tritt. (lacht).
DFB.de: Wie viel Zeit bleibt Ihnen für sich und die Familie?
Janotta: Da muss man nichts schönreden. Die Familie leidet. Das erzeugt auch Spannungen. Man muss Schwerpunkte setzen. Oft komme ich erst weit nach Mitternacht von den unterschiedlichen Terminen zurück und starte quasi direkt danach wieder in meine Rechtsanwaltskanzlei. Es ist der Spagat zwischen Familie, Beruf und Wahlamt.
DFB.de: Sind Sie Pragmatiker oder Idealist?
Janotta: Beides. Immer mitanpacken, immer mitgestalten. Vorlagen mag ich nicht, ich rede lieber frei. Idealist bin ich insofern, dass ich vom Fortschritt und einer stetig humaneren Gesellschaft überzeugt bin. Im Kleinen ist vieles abhängig von Personen. Man muss auch mal ein Kriegsbeil begraben können.
DFB.de: Sehr viele junge Menschen engagieren sich sozial – etwa bei Fridays for Future, bei Black Lives Matter oder auch bei der Genderdebatte. Tut der Fußball genug, um gerade auch junge Leute zum Mitmachen zu bewegen?
Janotta: Das ist, frei nach Effi Briest, ein weites Feld. Handy, E-Games, Chatgruppen, Ganztagsschule, andere Sportarten und Vereine – die Konkurrenz um die jungen Menschen ist groß. Wir sind froh, wenn wir die Jugend noch in die Fußballvereine bekommen. Die Mitgliederzahlen sind rückläufig. Der nächste Schritt, die jungen Menschen zum Ehrenamt zu bringen, ihnen zu zeigen, dass der Fußball, wie wir ihn gerade in den „kleinen“ Vereinen kennen und lieben, nur funktionieren kann, wenn sie sich mit ihren Persönlichkeiten und ihren individuellen Fähigkeiten einbringen, ist von immenser Bedeutung, aber auch eine große Herausforderung. Junge Leute brauchen Anreize, nur dann machen sie mit. Mit der Egidius-Braun-Akademie und auf spezifische Weise auch mit der Initiative „Anstoß für ein neues Leben“ sowie dem in Bälde startenden Leadership-Programm für Menschen mit Fluchterfahrung engagieren wir uns bereits genau in diesem Themengebiet. Gleichzeitig gibt es wichtige DFB-Initiativen im Ehrenamtskontext. Mit Blick auf bürgerschaftliches Engagement gerade junger Menschen gilt sicher das Prinzip „viel hilft viel“, insofern kann man nie genug tun und ich bin sicher, dass auch die Fußballstiftungen hier in den nächsten Jahren weitere Akzente setzen werden.
DFB.de: Herr Janotta, herzlichen Dank für dieses Interview. Zum Abschluss haben Sie für Ihr zweites Jahr im DFB-Präsidium einen Wunsch frei.
Janotta: Dass ein Impfstoff gefunden wird. Damit wir auch im Fußball zur Normalität zurückkehren können.
Quelle: DFB.de