Als Schiedsrichter pfiff er schon hinauf bis zur Herren-Regionalliga, im Amputierten-Fußball leitet er sogar Partien bei Welt- und Europameisterschaften oder wie zuletzt in der Champions League: Mario Schmidt ist ein Pionier in dieser Sportart und erhofft sich einen weiteren Aufschwung in diesem Jahr, wenn auch hier die EM in Deutschland stattfindet.
Wenn Mario Schmidt Spiele von Amputierten-Fußballern pfeift, kommt er manchmal aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Da sind einige mit Krücke schneller als ich ohne“, gesteht er ein. Zuletzt war er als Schiedsrichter beim Champions-League-Endturnier in Südspanien aktiv.
Seine beiden Einsätze unterstreichen den Stellenwert, den er dort genießt: Der 34-Jährige leitete sowohl das Eröffnungsmatch zwischen einer spanischen und einer georgischen Mannschaft wie auch das Finale. Hier setzte sich der türkische Vertreter Şahınbey Belediye Spor Kulübü gegen die Polen von Wisla Krakau durch. Der spätere Sieger lag zunächst mit 0:2 im Hintertreffen. Es gab einen Platzverweis, packende Szenen, dann die Aufholjagd: Auch Tage später schwärmt Schmidt noch gerade von dieser spannenden Partie.
Vor 20 Jahren stieg der aus Darscheid in der Vulkaneifel stammende und mittlerweile in Mainz lebende Schmidt als Unparteiischer ein. Liga für Liga kämpfte er sich nach oben. Sein Talent, aber auch sein Ehrgeiz, brachten ihn zwischenzeitlich hinauf bis in Regionalliga. Trotz der Entfernung von seinem Wohnort aus und seines Jobs als Asset Manager in der Finanzbranche, durch den er viel in Süddeutschland und in Österreich unterwegs ist, bleibt der 34-Jährige dem Fußballverband Rheinland treu. Bis hinauf zur höchsten Verbandsspielklasse ist er weiter aktiv und gibt darüber hinaus seine Erfahrung als Beobachter weiter.
Über Christian Heintz, einen früheren Rheinlandliga-Kicker der SG Ellscheid, der 2010 bei einem Autounfall sein rechtes Bein verlor, kam Schmidt 2014 zum Amputierten-Fußball: „Für die WM in Mexiko wurden noch Schiedsrichter gesucht. Christian als einer der Pioniere auf diesem Gebiet in Deutschland fragte mich, ob ich keine Lust hätte, mitzufliegen.“
Im Aztekenstaat erlebte der nach wie vor für den Dauner Vorortclub SV Neunkirchen-Steinborn pfeifende Unparteiische erstmals die Begeisterung rund um den Handicap-Fußball. Zehntausende Zuschauer verfolgten die Spiele. Einsätze bei Welt- und Europameisterschaften oder wie zuletzt Mitte November beim Champions-League-Turnier in Estepona am Mittelmeer schlossen sich an. 2017 leitete Schmidt das EM-Finale in der Türkei: „Im Stadion von Besiktas Istanbul waren 44.000 Zuschauer. Das ist bis heute der Weltrekord an Fans bei einem Spiel im Amputierten-Fußball. Ein unvergleichlicher Moment.“
Regeln und die Spielweise sind dem normalen Fußball sehr ähnlich. Gespielt wird auf einem kleineren Feld. Die Teams umfassen international je sieben Akteure. Zweimal 25 Minuten ist die Spielzeit. In der Bundesliga wird mit je fünf Spielern und über zweimal 20 Minuten agiert. Die Feldspieler haben nur ein Bein, sie bewegen sich mit handelsüblichen Krücken fort. Diese gelten als verlängerter Arm und dürfen nicht zum Spielen des Balles benutzt werden. Die Torhüter haben zwar zwei Beine, allerdings eine Armamputation.
Die Zweikampfführung sei im Vergleich zum herkömmlichen Fußball eine besondere und bedürfe oft einer genaueren Betrachtung: „Zusätzlich kommen die Krücken und der Stumpf ins Spiel. Da ändert sich oft der Fokus, und man muss schon sehr genau hinschauen.“ Schmidt sieht international große Unterschiede: „Spieler aus Angola und Tansania etwa bringen oft eine ganz andere Dynamik mit als etwa die Europäer, weil sie sich auch im Alltag mit einer Krücke und nicht mithilfe einer Prothese fortbewegen.“
Den Amputierten-Fußball in Deutschland populärer zu machen, ist das große Ziel Schmidts. Er ist Schiedsrichter-Obmann der Bundesliga und so nicht nur selbst auf dem Platz aktiv, sondern leitet auch das Team von zehn Unparteiischen, setzt sie für die Spiele an, führt Regelschulungen durch und will auch auf die Dauer ein Beobachtungswesen aufbauen.
Eng ist unverändert der Austausch zwischen den alten Kumpels Schmidt und Heintz, der sich als Mitarbeiter der gemeinnützigen Organisation „Anpfiff ins Leben“ auch in der vergangenen Saison um die Organisation der Spieltage kümmerte.
Im September 2021 begann die erste Saison eines offiziellen bundesweiten Spielbetriebs im Amputierten-Fußball. In der Anfang September zu Ende gegangenen Vierer-Bundesligarunde – die Saison erstreckt sich über die drei Doppelspieltage mit insgesamt zwölf Partien – setzte sich Fortuna Düsseldorf vor Mainz 05 durch. Hier spielt mittlerweile auch Christian Heintz. Sein Ex-Team Anpfiff Hoffenheim wurde Dritter, Vierter die aus dem Hamburger SV, Tennis Borussia Berlin und den Sportfreunden Braunschweig zusammengesetzte SG Nord-Ost.
Aufsehen erregte in der abgelaufenen Runde der Düsseldorfer Radouane Chaanoune, indem er zum Sieger beim „Tor des Monats Juni“ in der ARD-Sportschau gewählt wurde. Mit seinem sensationellen Fallrückziehertor setzte er sich sogar gegen Nationalspieler Ilkay Gündogan durch.
Auf internationaler Ebene rückt die Europameisterschaft in diesem Jahr in Deutschland nun immer mehr in den Blickpunkt. Schmidt hofft darauf, dabei zu sein. Im ersten Quartal, so seine Information, werden die Unparteiischen für das Turnier nominiert. Die deutsche Mannschaft wurde vor zwei Jahren in Polen Neunter und will den Heimvorteil nun zu einer besseren Platzierung nutzen.
Auch die DFB-Stiftung Sepp Herberger unterstützt den Amputierten-Fußball. Dafür sind Schmidt & Co. dankbar. Die EM im eigenen Lande wollen sie nun nutzen, um das Feld der Unterstützer zu erweitern und die Sportart hierzulande noch bekannter zu machen.
Quelle: fussball.de