Wie kann der DFB seine Mitgliedsverbände und Vereine in der Corona-Krise unterstützen? Was ist möglich und was nicht? Welche Rahmenbedingungen sind zu beachten? Welche Maßnahmen sind bereits beschlossen? Worüber wird noch konkret nachgedacht? Welche Erwartungen sind realistisch? Es sind bei weitem nicht die wichtigsten Fragen in der Corona-Krise, doch es sind wichtige Fragen für den deutschen Fußball und seine Vereinslandschaft. DFB-Schatzmeister Stephan Osnabrügge nimmt dazu im Interview ausführlich und offen Stellung.
Herr Osnabrügge, eine Frage bewegt viele Vereine: Wie kann der DFB seinen Klubs und dem Fußball von der 3. Liga und FYLERALARM Frauen-Bundesliga bis zum Amateurbereich bei der Bewältigung der Corona-Krise wirtschaftlich helfen?
Stephan Osnabrügge: Zunächst einmal: Ich befürchte, dass wir alle das Ausmaß der Pandemie noch nicht realisiert haben. Unsere Erfahrungen reichen dazu bisher einfach nicht aus. In Italien müssen Ärzte entscheiden, welchen Menschen noch geholfen werden kann und wem nicht. Nicht weil die Krankheit nicht heilbar wäre, sondern weil die Krankenhäuser keine Betten mehr haben. Das ist dramatisch, und ich habe den Eindruck, dass der Fußball angesichts dieser Situation bisweilen ein bisschen zu wichtig genommen wird und wir uns zum Teil auch selbst zu wichtig nehmen. Tatsache ist jedoch: Auch in der Fußballbranche stehen wir vor riesigen Herausforderungen. Für den DFB haben wir ein erstes Zahlenmodell entwickelt: Im schlechtesten Fall müssen wir mit einem Verlust von mehr als 50 Millionen Euro rechnen. Man mag sagen, macht ja nichts, der Verband ist ja reich. Aber das trifft es nicht.
Weshalb nicht?
Der DFB ist meines Wissens der einzige Sportverband in Deutschland, der von oben nach unten finanziert. Nicht wir leben von Mitgliedsbeiträgen, sondern wir unterstützen das System des gemeinnützigen Fußballs. Kann der DFB nicht mehr zahlen, schlägt dies unmittelbar auf unsere Mitgliedsverbände durch und trifft dort die Sportschulen, die Menschen, die den Amateurspielbetrieb organisieren, viele tausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Wir haben daher als erstes geprüft, wie wir unsere Mitgliedsverbände, also unsere Regional- und Landesverbände, stützen können. Eine erste Maßnahme hat das DFB-Präsidium am Mittwoch beschlossen. Die Zuwendungen des DFB an die Landesverbände, die für die den kompletten Amateurfußball zuständig sind, werden nicht zu den bisherigen Fälligkeitsterminen, sondern flexibel nach Bedarf ausgezahlt.
Was heißt das genau?
Osnabrügge: Insgesamt investieren der DFB und seine Landesverbände jedes Jahr rund 120 Millionen Euro in den Amateurfußball. Alleine die direkten Zuschüsse des DFB an seine Mitgliedsverbände sind in den vergangenen Jahren von fünf auf insgesamt zwölf Millionen jährlich gestiegen. Die Zuwendungen pro Landesverband richten sich nach einem Schlüssel, der sich an der Zahl der Mitglieder und gemeldeten Mannschaften orientiert. Die Landesverbände wiederum finanzieren ihre Regionalverbände. Die Gelder werden jedes Jahr in zwei Raten ausgezahlt, im Mai und im November. Dies haben wir für dieses Jahr aufgehoben. Ein Landesverband, der die Gehälter seiner Angestellten nicht mehr zahlen kann, kann nun flexibel diese Geldmittel abrufen. Wir stellen damit sicher, dass die Infrastruktur für die Vereine an der Basis erhalten bleibt. Wir lösen akute Liquiditätsprobleme und reduzieren die Gefahr, dass die Fußballverbände in Deutschland ihren gemeinnützigen Aufgaben für die Vereine nicht mehr nachkommen können. Damit wir alle wieder Fußball erleben, wenn die Krise vorbei ist.
Wie sieht es mit direkten Hilfsmaßnahmen für die Vereine aus?
Osnabrügge: Klar ist: Der DFB wird alle Möglichkeiten nutzen, um bestmögliche Hilfe zu leisten. Am fehlenden Willen unsererseits wird keine Maßnahme scheitern. Allerdings muss der Fußball – so schwer das auch fallen mag – in der Erwartungshaltung realistisch bleiben. Zu beachten sind rechtliche und steuerliche Vorgaben, an die der DFB zwingend gebunden ist. Wir dürfen Vereine nicht direkt bezuschussen. Aber wir können es auch wirtschaftlich nicht.
Das müssen Sie genauer erklären.
Osnabrügge: Dazu müssen wir unterscheiden: Unmittelbar ist der DFB für seine Mitgliedsverbände zuständig. Diesen können und dürfen wir helfen. Darüber hinaus organisiert der DFB eigene Spielklassen, also die 3. Liga, die Frauen-Bundesligen sowie die Junioren-Bundesligen. Für diese prüfen wir gezielte Maßnahmen, um die Liquidität der Klubs unserer Spielklassen aufrecht zu erhalten. Unser oberstes Ziel bleibt, den Spielbetrieb nach der Krise wieder aufnehmen zu können. Dabei ging und geht es niemals um Zuschüsse. Solche Zuschüsse sind uns steuerrechtlich nicht erlaubt, weil die Mittel des DFB gemeinnützig gebunden sind und ausschließlich für gemeinnützige Zwecke verwendet werden dürfen. Die Klubs unserer Spielklassen arbeiten aber wirtschaftlich, es handelt sich um den bezahlten Fußball. Wir haben daher die Vergabe von Darlehen geprüft. Es wäre mein Wunsch gewesen, Kredite für Klubs der DFB-Spielklassen anbieten zu können, mit deren Hilfe sie akute, durch die Corona-Krise entstandene Liquiditätslücken überbrücken können. Mittlerweile bin ich sehr ernüchtert. Nach steuerlichen und rechtlichen Gutachten bis hin zum Kontakt mit der Finanzaufsichtsbehörde BaFin musste ich lernen, dass wir dafür eine Banklizenz bräuchten – obwohl wir ganz sicher an einem solchen Programm kein Geld verdienen wollten. Ich habe das Ganze zur Sicherheit nochmals in die Prüfung gegeben, aber ich bin leider wenig optimistisch.
Wie sieht es mit der Regionalliga und dem Amateurfußball aus?
Osnabrügge: Die Zuständigkeit für die Regionalligisten und die Amateurvereine liegt bei den jeweiligen Regional- und Landesverbänden. Als DFB müssen wir also sehen, wie wir unsere Mitgliedsverbände unterstützen, damit diese in ihren Regionen zielgerichtet und effektiv helfen können. Leider gilt dasselbe Recht, das für den DFB gilt, auch für unsere Verbände. Eine unmittelbare finanzielle Unterstützung einzelner Amateurvereine ist dem Deutschen Fußball-Bund definitiv nicht möglich. Übrigens auch wirtschaftlich nicht: Wir haben 25.000 Vereine in Deutschland. Würde man jedem Verein 3.000 Euro Unterstützung in der Krise geben, wären die Rücklagen des DFB aufgebraucht. Angesichts der Prognose, dass wir alleine dieses Jahr etwa 75 Prozent der verfügbaren Rücklagen zum eigenen Überleben brauchen werden, ist das ausgeschlossen. Zudem würden 3.000 Euro pro Klub auch auf Vereinsebene nicht nachhaltig weiterhelfen. Der DFB muss als Verband sicherstellen, dass das Verbundsystem Fußball funktioniert. Und genau das tun wir.
Geht am Ende alles im allgemeinen Statuten- und Paragrafendschungel unter?
Osnabrügge: Ich verstehe diesen Einwand und kann auch manchen Frust nachvollziehen. Die Welt wäre so einfach, hätte der DFB die rechtlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, alle Fußballvereine durch die Krise zu bringen. Aber so einfach ist es leider nicht. Manch einer mag meine Ausführungen kritisch sehen. Aber die Verantwortlichen im DFB können und werden nicht riskieren, die Gemeinnützigkeit des Verbandes zu verlieren. Ich kann versichern: Ungeachtet aller Paragrafen und Statuten ist sich der DFB der herausragenden Bedeutung der Fußballvereine in Deutschland völlig bewusst. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DFB sind abseits des Berufs selbst in Amateurvereinen ehrenamtlich tätig, kennen die dortigen Belange und Nöte und erleben sie hautnah mit. Daher kann ich nur unterstreichen: Wir werden alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um zu unterstützen und zu helfen, mittelbar oder unmittelbar.
Welche Überlegungen gibt es dabei noch?
Osnabrügge: Wir können die Vereine unserer Spielklassen über Verbandsmaßnahmen auf der Ausgabenseite entlasten und ihnen so helfen. Dasselbe können auch die Landesverbände tun. Aktuell liegt der Fokus in den öffentlichen Diskussionen sehr stark auf den Einnahmeverlusten in den Vereinen und der Frage, wie diese kompensiert werden könnten. Wir sollten aber auch andere Perspektiven betrachten. Vereine, die Arbeitnehmer beschäftigen, können und sollten Kurzarbeit beantragen. In vielen Klubs lauten die Alternativen Kurzarbeitergeld oder Insolvenz. Ich persönlich erwarte gerade von denen, die das Glück haben, in normalen Zeiten viel Geld mit dem Fußball verdienen zu dürfen, einen klaren Solidaritätsbeitrag mit ihren Arbeitgebern. Wir unterstützen intensiv mit Informationen, Mustern etc. Zusätzlich müssen wir an das Zulassungsverfahren denken. Wir wollen auch in der kommenden Saison eine attraktive 3. Liga. Dann müssen wir die krisenbedingten wirtschaftlichen Folgen im Rahmen der Zulassung richtig einordnen. Wir stehen im Kontakt mit anderen Verbänden und versuchen gemeinsam, Lasten von den Vereinen zu nehmen, beispielsweise die Beiträge der gesetzlichen Unfallversicherung, der VBG. Das sind typische Verbandsaufgaben. Wir können nicht die Rechnungen der Vereine bezahlen, aber wir wollen dazu beitragen, dass sie möglichst klein ausfallen. Darüber hinaus ist es die Aufgabe des Staates, finanzielle Hilfen zu gewähren und der gesamten Wirtschaft, auch dem Sport, zu helfen.
Müssen wir alle also pessimistisch sein, auch in den Vereinen?
Osnabrügge: Nein. Wichtig sind Realismus, Vernunft und verantwortungsvolles, solidarisches Handeln. Und Optimismus. So wie es viele, gerade kleinere Klubs an der Basis vormachen, die Hilfsangebote in ihren Orten anbieten wie zum Beispiel Einkaufsdienste für ältere Menschen oder Erkrankte. Unsere Gesellschaft wird durch das Ehrenamt getragen. Das ist vorbildlich und extrem wichtig. Unser Präsident Fritz Keller hat es am Mittwoch eindringlich und treffend zusammengefasst: Wir müssen diese Krise gemeinsam bewältigen, es geht nur mit Solidarität auf allen Ebenen. Das wollen, das müssen, das werden wir als DFB vorleben. Hier hat auch die Nationalmannschaft ein tolles Zeichen gesetzt mit ihrer Spende von 2,5 Millionen Euro, die sie auf eigene Initiative einem guten Zweck zuführen wird.